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Ökologie: Imperial Ecology - Environmental Order in the British Empire, 1895–1945

Harvard University Press, Cambridge, MA 2002. 343 Seiten, $ 59,95


Die Ökologie genießt gemeinhin den Ruf, transparent und objektiv zu beschreiben, wie Natur ohne menschliche Eingriffe aussieht. Diese Vorstellung ist in den vergangenen Jahren radikal in Frage gestellt worden. Gegenwärtig bietet die Ökologie weder ein unverfälschtes Originalbild einer ursprünglichen Natur noch neutrale Handlungsanweisungen, sondern Deutungen und Rezepte, die historisch, politisch und kulturell mitbedingt sind. Im vorliegenden Werk gibt der norwegische Wissenschaftshistoriker Peder Anker eine moderne Beschreibung dieser Wissenschaft, die von seinen Fachkollegen immer noch stiefmütterlich behandelt wird.

Anker zeigt, wie die Ökologie, die vor allem die Verbreitung von Pflanzen untersucht hatte, in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sowohl menschliche als auch natürliche "Gemeinschaften" als Forschungsobjekte entdeckte. Ihre einflussreichsten Vertreter waren Arthur Tansley, der Schöpfer des Begriffs "Ökosystem", der Tierökologe Charles Elton, der Zoologe und Schriftsteller Julian Huxley und der südafrikanische Politiker und Botaniker Jan Christian Smuts.

Smuts und seine Anhänger formulierten eine ganzheitliche Ökologie, während die britische Schule eine eher reduktionistische, mechanistische Betrachtungsweise vertrat. Beide Lager banden in ihren Theorien den Menschen in den Naturhaushalt ein und fanden damit einen Weg, globale politische Ambitionen zu entwickeln, und zwar die natürlichen und menschlichen Ressourcen ihrer Imperien effizient zu verwalten und zu nutzen. Anker belegt überzeugend die These, entscheidende Aspekte der modernen Ökologie seien aus dem Kolonialismus und dem Nord-Süd-Gegensatz erwachsen.

Tansley, Huxley und ihre britischen Weggefährten strebten eine Welt ohne Geschichte an, eine Welt, in der politisches Handeln nicht mehr frei, sondern von den Notwendigkeiten ökologischen Haushaltens bestimmt ist. Das heimatliche, nicht durch Großstädte verunstaltete Paradies und die versorgenden Kolonien sollten einer strikten Kontrolle unterliegen, und in der globalen "Verwaltung" war den Ökologen eine prominente Stellung zugedacht.

In Südafrika sollte die Ökologie dazu dienen, die Apartheid als naturgegeben zu rechtfertigen. Jede Rasse hatte angeblich eine ihrem körperlichen und psychologischen Entwicklungsstand angemessene ökologische Nische, in der sie dem harmonischen Ganzen dienlich sein konnte. Nach Smuts war es ein Gebot der Fairness, jeder Volksgruppe eine "natürliche" Entwicklung innerhalb ihrer Umwelt zu gewährleisten.

Nach dem Zusammenbruch der Imperien richtete sich der Ehrgeiz der Ökologen zum einen auf die neuen Nationalstaaten und zum anderen auf die Vereinten Nationen: Tansley verschrieb sich dem Naturschutz in Großbritannien, Huxley wurde erster Generalsekretär der UNESCO, und Smuts diente sich ebenfalls der UN an. Das Buch überrascht wiederholt mit unerwarteten Einsichten: Als ergebener Anhänger Sigmund Freuds nutzte Tansley psychoanalytische Theorien bei der Formulierung des Ökosystem-Konzeptes; Smuts baute in seinen Entwurf für die Präambel der UN-Charta rassistische Ideen ein.

Manchen seiner Ansprüche wird Anker nicht vollständig gerecht. Die geografische Beschränkung auf das britische Kolonialimperium hindert ihn daran, eine wirklich globale Perspektive einzunehmen und Forschungsansätze in anderen Ländern, wie etwa den Vereinigten Staaten oder Deutschland, zu beleuchten.

Peder Ankers gleichwohl faszinierende und ungemein wichtige Studie erschöpft ihre Bedeutung nicht in der historischen Erkenntnis. Denn das so modern erscheinende Motto "Think globally, act locally" diente schon Ökologen im britischen Kolonialreich als nützliche Handlungsmaxime. Auch wenn im postkolonialen Zeitalter offen paternalistische und unterdrückerische Maßnahmen kaum noch eine Rolle spielen, ist der globale Umweltdiskurs sowohl auf der Pro- als auch auf der Anti-Globalisierungsseite immer noch geprägt von wissenschaftlichen und politischen Konzepten des Westens.

Lokale Landnutzer erleben ihre Umwelt oft völlig anders, als gängige Begriffe wie "Entwaldung", "Erosion" oder "Überweidung" vermuten lassen. Das Wald-Savannen-Mosaik in Westafrika ist für westliche Umweltschützer ein untrügliches Zeichen für fortschreitenden Waldverlust. Für die einheimischen Bauern hingegen sind die Waldflecken dadurch entstanden, dass sie oder ihre Vorfahren Bäume in eine ursprüngliche Savanne pflanzten.

Unter solchen Umständen kann Ökologie immer noch als Werkzeug fremder Perspektiven und Interessen, als Mittel der Freiheitseinschränkung erfahren werden. Früher geschah diese Einmischung zum Wohle der Kolonialmacht, heute zum Wohle einer als globales Erbe betrachteten Umwelt, die der Verfügung ihrer traditionellen Nutzer entzogen wird. Und dieses Erbe wird verwaltet mit oft ahistorischen Vorstellungen, wie ein tropischer Wald, eine Savanne oder Berghänge im Himalaya "eigentlich" aussehen sollen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2003, Seite 124
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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