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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Pi ist überall – Teil 3.1415: Die Leibniz-Formel

Wie kann man eine möglichst griffige Formel für Pi finden? Eine erstaunlich einfache Idee entwickelt sich zu einer Reise durch komplexe Ebenen, Primzahlen und Symmetrien.
Viele Pi
Pi taucht überall auf.

Pi ist überall. Das dachte sich wohl auch der damalige Jurist Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), als er auf eine bemerkenswert einfache Formel stieß, die die Kreiszahl beschreibt. Tatsächlich veranlasste ihn unter anderem diese Formel, seinen Beruf an den Nagel zu hängen und sich fortan nur noch mit Mathematik zu beschäftigen. Ein Glück! Denn seine Forschung prägt bis heute bedeutende Teile des Fachs.

Aber zurück zu Pi, der Zahl, die auch viele Nicht-Mathematikerinnen und -Mathematiker immer wieder in ihren Bann zieht. Berechtigterweise, könnte man meinen, denn sie taucht an Orten auf, die auf den ersten Blick nichts mit Geometrie oder Kreisen zu tun haben: etwa beim Billardspiel oder in Fraktalen. In dieser Kolumne werden wir allerdings umgekehrt vorgehen. Wir suchen nach einer Formel, die Pi ausspuckt, und begeben uns dabei auf eine Reise, die durch unterschiedlichste mathematische Gebiete führt: vom Satz des Pythagoras über die Wurzeln negativer Zahlen hin zu Primzahlen. So wird deutlich, wie facettenreich Pi wirklich ist.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Wenn man den Zahlenwert von Pi abschätzen möchte, kann man zunächst einen Kreis auf ein kariertes Blatt malen. Die Anzahl der Knoten oder Gitterpunkte (also Punkte, an denen sich die Linien kreuzen) hängt mit dem Flächeninhalt des Kreises zusammen. Je größer der Kreis, desto mehr Punkte liegen in dessen Innerem. Die Übereinstimmung wird natürlich umso genauer, je größer der Radius ist. Da der Flächeninhalt A eines Kreises von Pi abhängt (A = πr2), lässt sich die Kreiszahl durch die Anzahl der inneren Punkte ermitteln.

Gitterpunkte zählen | Dieser Kreis mit Radius 8,7 enthält 237 Gitterpunkte. Sein Flächeninhalt beträgt zirka 237,78.

Und genau das wird unser Ziel sein: Wir suchen nach einer Möglichkeit, die Gitterpunkte innerhalb eines Kreises zu zählen, um anschließend daraus den Wert von Pi zu ermitteln. Was nach einem einfachen Plan klingt, wird sich jedoch als ganz schön knifflige Aufgabe erweisen.

Wie zählt man die Gitterpunkte innerhalb eines Kreises?

Als Ausgangspunkt zeichnet man den Kreis auf dem karierten Blatt so ein, dass der Mittelpunkt auf einem Knoten landet. Wie in der Schulgeometrie kann man sich ein kartesisches Koordinatensystem vorstellen, das im Mittelpunkt des Kreises seinen Ursprung hat. Zu jedem Knoten innerhalb des Kreises kann man von dort aus eine Linie ziehen, deren Länge l sich nach Pythagoras durch die x- und die y-Koordinate des Punkts berechnen lässt (x2 + y2 = l2), wobei l2 einer natürlichen Zahl entspricht, da x und y auch ganzzahlig sind.

Koordinaten eines Gitterpunkts

Aber wie fängt man alle Punkte innerhalb des Kreises systematisch ein? Zum Beispiel könnte man kleinere Kreise ziehen und alle Knoten zählen, die auf diesen liegen. Damit die inneren Kreise überhaupt Punkte treffen, muss deren Radius den möglichen Längen l entsprechen (r = l), die sich durch den Satz des Pythagoras aus ganzzahligen x und y ergeben. Demnach ist l stets die Wurzel aus einer ganzen Zahl N: l = √N.

Kreise ziehen und ganzzahlige Koordinaten zählen

Gitterpunkte auf einem Kreis

Nun kann man also aufsteigend alle möglichen Kreise untersuchen, beginnend mit l = √0 = 0, dann l = √1 = 1, l = √2, l = √3 und so weiter. Dabei muss man jedes Mal zählen, wie viele ganzzahlige Koordinatenpaare sie besitzen. Für die ersten sieben Kreise findet man folgendes Ergebnis:

Radius √0 √1 √2 √3 √4 √5 √6 √7
Schnittpunkte 1 4 4 0 4 8 0 0

Erkennen Sie das Muster? Nein? Ich auch nicht. Es scheint keine klare Regel zu geben, wann ein Kreis die Knoten des Karomusters schneidet – und wie häufig das geschieht. Aber bloß nicht die Hoffnung verlieren! Man kann eine analytische Bedingung dafür angeben: Ein Kreis schneidet immer dann einen Knoten, wenn sich der quadrierte Radius als Summe zweier Quadratzahlen schreiben lässt. Für r = √25 gibt es beispielsweise gleich mehrere Zahlenpaare, die das erfüllen: (5,0), (4,3), (3,4), (0,5) und so weiter.

Ausflug in die komplexe Ebene

Wenn man es mit ebenen, zweidimensionalen geometrischen Problemen zu tun hat, helfen sich Mathematiker gerne mit einem Trick. Anstatt sich umständlich mit Vektoren herumzuschlagen, wechseln sie in ein anderes Zahlensystem: in das der komplexen Zahlen. Diese enthalten alle reellen Zahlen und darüber hinaus Wurzeln aus negativen Werten. Die Wurzel aus minus eins wird dabei als »i« bezeichnet. Eine komplexe Zahl lässt sich als Summe aus einem Realteil (ein reeller Wert) und einem Imaginärteil (Wurzel einer negativen Zahl) schreiben, etwa: z = 3 + 4i.

Diese Aufspaltung ähnelt einer zweiten Dimension: Man interpretiert die x-Achse einer Ebene als Realteil, die y-Achse hingegen als Imaginärteil. So entspricht z = 3 + 4i dem Punkt (3, 4) in einem herkömmlichen kartesischen Koordinatensystem. Viel hat sich also nicht geändert – allerdings fallen Berechnungen in dieser Darstellung etwas griffiger aus. Die Bedingung, dass r2 der Summe zweier Quadratzahlen entsprechen muss, lässt sich auf diese Weise etwas einfacher formulieren: r2 = (a + ib)(a − ib). Da i2 = −1, ergibt die Gleichung in ausmultiplizierter Form: r2 = a2 + b2. Der Vorteil: Anstatt ein additives Problem zu haben, hat man die Aufgabe so umgeschrieben, dass nun die Teiler von r2 gesucht sind. Um diese zu finden, gibt es ausgeklügelte Methoden.

Komplexe Ebene

Um zu entdecken, welche Kreise die Knoten eines karierten Blatts schneiden, muss man also ermitteln, welche quadrierten Radien sich durch ein Produkt (a + ib)(a − ib) darstellen lassen, wobei a und b natürliche Zahlen sind. Und natürlich möchte man auch noch wissen, wie viele ganzzahlige a und b es gibt – denn das sind die ganzzahligen Koordinaten des untersuchten Kreises.

Man sucht also alle »ganzzahligen« komplexen Teiler einer Zahl r2. Wenn der Radius des betrachteten Kreises beispielsweise √25 beträgt, dann gilt: r2 = 25 = 5·5 = (2+i)(2−i)·(2+i)(2−i). Weiter lässt sich die Zahl nicht zerlegen. Man kann 25 demnach in ein Produkt aus vier komplexen Zahlen zerlegen. Nun muss man nur alle Möglichkeiten zählen, daraus ein Produkt der Form (a + ib)(a − ib) zu erhalten: 25 = (2+i)(2−i)·(2+i)(2−i) = 5·5  oder 25 = (2+i)(2+i)·(2−i)(2−i) = (3+4i)(3−4i) oder 25 = (2+i)(2+i)·(2−i)(2−i) = (4+3i)(4−3i). Folglich besitzt der Kreis mit Radius √25 Schnittpunkte bei: a = 5, b = 0 und a = 3, b = 4 sowie a = 4, b = 3 – oder in kartesischen Koordinaten ausgedrückt: (5,0), (4,3) und (3,4).

Kreis mit Radius fünf | Auf dem Kreis mit Radius fünf liegen insgesamt zwölf Gitterpunkte.

Das sind allerdings nur die Schnittpunkte im ersten Quadranten. Aus Symmetriegründen taucht die gleiche Anzahl an Schnittpunkten in allen vier Quadranten auf. Daher muss man die Anzahl mit vier multiplizieren: Aus drei Lösungen werden also zwölf. Das heißt: Auf dem Kreis mit Radius √25 liegen zwölf Punkte, die ganzzahlige Koordinaten haben.

Doch was passiert, wenn sich r2 nicht in die Form (a + ib)(a − ib) faktorisieren lässt? Ein Beispiel dafür ist r = √15: r2 = 15 = 3·5 = 3·(2 + i)(2 − i). Der Primfaktor 3 lässt sich nicht als Produkt zweier komplexer Zahlen der Form (x + iy)(x − iy) mit ganzzahligen x und y schreiben. Als Konsequenz besitzt kein Punkt auf dem Kreis mit Radius √15 ganzzahlige Koordinaten.

Ein Rezept, um Schnittpunkte zu zählen

Damit kann man die Bestimmung der Schnittpunkte systematisieren: Wenn man herausfinden möchte, wie viele Knoten eines karierten Blatts auf einem Kreis mit Radius r liegen, geht man wie folgt vor:

  1. Bestimme die Primteiler pi von r2 = p1·p2·p3·…
  2. Zerlege die Primzahlen wenn möglich in Produkte komplexer Zahlen der Form (x + iy)(x − iy), wobei x und y ganzzahlig sind.
  3. Zähle alle möglichen Varianten, wie sich r2 als Produkt (a + ib)(a − ib) schreiben lässt (indem man die Faktoren (x + iy)(x − iy) unterschiedlich ausmultipliziert).
  4. Multipliziere das Ergebnis mit 4, um alle Quadranten abzudecken.
  5. Falls sich r2 nicht in eine Form r2 = (a + ib)(a − ib) bringen lässt, dann liegen keine Gitterpunkte auf dem Kreis mit Radius r.

Den aufwändigsten Teil der Aufgabe stellen die Punkte 2 und 3 dar. Denn man muss für jede Primzahl p untersuchen, ob sie sich in ganzzahlige komplexe Teiler faktorisieren lässt. Doch glücklicherweise gibt es Ergebnisse aus der Zahlentheorie, die sich mit dieser Fragestellung befassen:

Jede Primzahl der Form 4n + 1 (5, 13, 17, 29 und so weiter) lässt sich in exakt ein Paar (x + iy)(x − iy) mit ganzzahligen x und y faktorisieren.

Primzahlen der Form 4n + 3 (3, 7, 11, 19 und so weiter) lassen sich hingegen nicht weiter zerlegen.

Damit lässt sich bestimmen, welche Primfaktoren auf welche Weise zu den Gitterpunkten auf einem Kreis beitragen. Angenommen, r2 besteht aus k Primzahlen der Form 4n + 1 und l Primteilern der Form 4n + 3. Falls l eine ungerade Zahl ist, dann lässt sich r2 nicht als Produkt (a + ib)(a − ib) schreiben – daher ist die Anzahl der Schnittpunkte null (unabhängig von allen anderen Primfaktoren).

Wenn l hingegen gerade ist, lässt sich r2 durch (a + ib)(a − ib) ausdrücken. Jede Primzahl der Form 4n + 1, die k-mal auftaucht, liefert einen Faktor von k + 1 für die Anzahl der Schnittpunkte. Am Ende muss man das Ergebnis noch mit 4 multiplizieren, um alle Quadranten abzudecken. Und zu guter Letzt: Falls in der Primfaktorzerlegung des quadrierten Radius der Faktor 2 auftaucht, ändert dieser nichts an der Anzahl der Schnittpunkte.

Das war jetzt ziemlich viel Theorie, deshalb wenden wir uns einem Beispiel zu: dem Kreis mit Radius √(289 180 125). Wie wir sehen werden, schneidet er 80 Gitterpunkte. Denn: 289 180 125 = 34 · 53 · 134. Drei ist eine Primzahl der Form 4n + 3 und kommt viermal, also in gerader Anzahl, vor. Das heißt, der Kreis schneidet auf jeden Fall ganzzahlige Punkte. Um herauszufinden, wie viele genau, muss man sich den anderen Primfaktoren widmen: 5 und 13 sind Primzahlen der Art 4n + 1, daher liefern sie (3 + 1) mal (4 + 1), also 20 Schnittpunkte. Diese muss man aus Symmetriegründen noch mit vier multiplizieren – und erhält schließlich 80 ganzzahlige Koordinaten, die auf dem Kreis liegen.

Eine seltsame Funktion

Zur Erinnerung: Ursprünglich wollten wir eine Formel für die Zahl Pi finden. Dafür wollten wir alle Knoten innerhalb eines möglichst großen Kreises berechnen. Wir haben dazu alle Kreise mit Radius r = √N (wobei N eine natürliche Zahl ist) betrachtet, die innerhalb des großen Kreises liegen. Man zählt, wie viele Gitterpunkte auf den inneren Kreisen liegen, und summiert sie auf.

Was noch fehlt, ist also eine griffige Formel für das Zählen der ganzzahligen Koordinaten auf einem Kreis. Um das zuvor beschriebene Verfahren in eine kompakte Gleichung umzuwandeln, kann man eine Hilfsfunktion definieren: f(n) = entweder 1, falls n = 4k + 1; oder −1, falls n = 4k + 3; oder 0, falls n = 2k, wobei k und somit n natürliche Zahlen sind. Die Abbildung wirkt auf den ersten Blick etwas willkürlich, aber gleich wird klar, warum sie nützlich ist.

Dazu kann man sich wieder dem vorigen Beispiel zuwenden: 289 180 125 = 34 · 53 · 134, bei dem wir insgesamt 4 · 1 · (3 + 1) · (4 + 1) = 80 Schnittpunkte gezählt hatten. Das Ergebnis lässt sich auch durch die neue Funktion f ausdrücken: 4· (f(1) + f(3) + f(32) + f(33) + f(34)) · (f(1) + f(5) + f(52) + f(53)) · (f(1) + f(13) + f(132) + f(133) + f(134)) = 4·(1 − 1 + 1 − 1 + 1) · (1 + 1 + 1 + 1) · (1 + 1 + 1 + 1 + 1) = 80.

Durch die Hilfsfunktion f(n) lässt sich also eine Formel für das Zählen der Gitterpunkte formulieren: Für r2 = p1a · p2b · p3c · … berechnet sich die Anzahl der Schnittpunkte durch das Produkt: 4·(f(p1)0) + f(p1)1) + … + f(p1)a)) · (f(p2)0) + f(p2)1) + … + f(p2)b)) · (f(p3)0) + f(p3)1) + … + f(p3)c)) · …

Im Prinzip sind wir fertig – aber der Ausdruck lässt sich weiter vereinfachen. Denn die Funktion f(n) hat eine sehr angenehme Eigenschaft: Sie ist multiplikativ. Das heißt, f(n) · f(m) = f(n·m). Indem man das ausnutzt, kann man das Produkt zur Bestimmung der Schnittpunkte in eine einfache Summe umwandeln.

Vom Rezept zu einer unendlichen Summe

Führt man die Multiplikationen aus, erhält man nämlich Terme der Form: 4f(1) + 4f(1·p11) + 4f(1·p21) + 4f(1·p11·p21) + 4f(1·p11·p31) + … Man summiert demnach die Funktion f von allen Teilern des quadrierten Radius – und multipliziert das Ganze mit vier.

Damit sind wir nun wirklich am Ende: Um alle Gitterpunkte innerhalb eines möglichst großen Kreises zu zählen, muss man alle ganzzahligen Koordinaten der inneren Kreise mit Radius √N zusammenzählen. Das heißt: Die obige Summe müssen wir für alle Kreise mit Radius √N (mit N = 1, 2, 3, 4, …) bilden und addieren. Da die Radien über teilweise gleiche Teiler verfügen, kann man diese bündeln. Zum Beispiel besitzt jede Zahl den Teiler 1 – daher taucht f(1) bei jedem Kreis auf. 2 ist hingegen nur bei jeder zweiten Zahl vertreten (jede zweite Zahl ist gerade), also taucht f(2) nur in durchschnittlich der Hälfte aller Fälle auf, und so weiter.

√1 √2 √3 √4 √5 √6
f(1)
f(1) f(2)
f(1) f(3)
f(1) f(2) f(4)
f(1) f(5)
f(1) f(2) f(3) f(6)

So erhält man folgende Abschätzung für die Anzahl aller Gitterpunkte innerhalb eines großen Kreises mit Radius R: 4R2(f(1) + f(2)/2 + f(3)/3 + …) = 4R2(1 − 13 + 15 − 17 + 19 ± …). Und wie wir wissen, entspricht die Anzahl der Punkte für große R in etwa dem Flächeninhalt des Kreises, also 4R2(1 − 13 + 15 − 17 + 19 ± …) ≈ πR2. Auf beiden Seiten kann man nun den Faktor R2 herauskürzen und erhält so eine Formel für Pi: π ≈ 4(1 − 13 + 15 − 17 + 19 ± …).

Auch wenn das Endergebnis wie gewünscht eine griffige und schöne Gleichung ist, hat es einiges an Aufwand gekostet, sie zu erhalten. Wir haben Eigenschaften von Primzahlen, komplexen Zahlen und Faktorisierungen ausnutzen müssen – allesamt Ergebnisse aus der Zahlentheorie. Das verdeutlicht die wunderbare Vielfalt der Kreiszahl, die weit über den Bereich der Geometrie hinausgeht.

Was ist euer Lieblingsmathetheorem? Schreibt es gerne in die Kommentare – und vielleicht ist es schon bald das Thema dieser Kolumne!

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