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Automation: Koteletts aus der Maschine

Kosten senken, Qualität verbessern - die Fleisch verarbeitende Industrie muss automatisieren. Doch so leicht ist der Mensch nicht zu ersetzen.


Metzger leisten Knochenarbeit. Ob sie auf dem Schlachthof die toten Tiere grob zerlegen oder in den Produktionshallen eines Industrieunternehmens Koteletts entbeinen und verpacken – es kostet Kraft. Gleichzeitig erfordert diese Arbeit aber auch Geschick und Erfahrung, sodass Automaten kaum zum Einsatz kommen. Das Resultat: Die Betriebe wenden für das Personal rund 75 Prozent der Produktionskosten auf, der Anteil liegt in der Lebensmittelindustrie sonst bei durchschnittlich 57 Prozent. Gleichzeitig belastet ein hoher Krankenstand die Gewinnmarge.

Auf der anderen Seite erscheint der Beruf des Fleischers vielen Jugendlichen nicht mehr attraktiv, deshalb droht ein Mangel an qualifizierten Mitarbeitern. Schließlich bringt die Handarbeit noch ein drittes Problem mit sich: Trotz aller Sorgfalt können Bakterien die Produkte kontaminieren.

Sollen deutsche Unternehmen dieser Branche gegen Billigimporte bestehen, geht deshalb kein Weg an einer weitgehenden Automatisierung der gesam-ten Prozesskette der Fleischverarbeitung vorbei, die mit der Schlachtung beginnt und bei Fertigprodukten wie Kotelett, Steak, Wurst oder Schinken endet.

Was Maschinen heute schon bewältigen, sind relativ einfache Einzelprozesse wie der Transport zwischen Verarbeitungsstationen, das Hacken von Rindfleisch oder das Verpacken. Beim Nasspökeln beispielsweise laufen Schinken auf einem Transportband an einer automatischen Station vorbei, die mit Nadeln eine salzhaltige Lösung einspritzt, um das Wachstum von Mikroben zu hemmen und die Farbe zu stabilisieren.

Doch selbst wenn solche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, werden sie nicht unbedingt genutzt. Eine im vergangenen Jahr von uns durchgeführte Umfrage ergab, dass nur ein Viertel der deutschen Fleischproduzenten den Automatisierungsgrad ihrer Produktion als hoch oder sehr hoch einschätzt. Historisch bedingt dominieren hier zu Lande nämlich kleine, handwerkliche Betrieben die Branche. Anders in Dänemark: Konzentration und Rationalisierung förderten dort in den letzten Jahren hochautoma-tisierte Fabriken. Beispielsweise produziert der Konzern Danish Crown nach eigenen Angaben 75 Prozent des nationalen Schweinefleischs und 60 Prozent des in Dänemark verzehrten Rindfleischs bei einem Umsatz von 5,4 Milliarden Euro. Dabei profitiert der Konzern unseres Erachtens von einer im Vergleich zu Mittel- und Südeuropa schlichteren Produktpalette und einer geringeren Zahl an Nutztierrassen. Da ihre Rohstoffe homogener sind und sich die Nachfrage auf eine begrenztere Anzahl von Produktkategorien konzentriert, können nordeuropäische Länder generell ihre Fleischverarbeitung leichter rationalisieren.

Ob die vielen deutschen "Davids" gegen die wenigen "Goliaths" vom Zuschnitt Danish Crowns bestehen können? In jedem Fall ist eine stärkere Automatisierung unabdingbar. Doch die heute verfügbaren Maschinen und Anlagen werden erst bei sehr hohen Stückzahlen rentabel, für kleinere Betriebe erweisen sie sich manchmal als überdimensioniert und oft als unflexibel: Gerade dort müsste eine Anlage beispielsweise Fleischprodukte mal unter Vakuum, mal unter Luft oder einer speziellen Gasatmosphäre verpacken. Wie in anderen Branchen auch, könnte ein modularer Aufbau die Lösung sein: Die Maschinen würden dann kundenspezifisch aus standardisierten Komponenten aufgebaut. Dabei blieben einige Funktionen stets erhalten wie etwa die Handhabung des Verpackungsmaterials oder die Versiegelung, andere würden kurzfristig ausgetauscht.

Darüber hinaus fehlen Technologien für komplexere Aufgaben. Insbesondere bei der Zerlegung von Fleisch bietet sich derzeit eher eine Halbautomatisierung, also eine maschinelle Unterstützung der Fleischer an. Das ist technisch leichter zu realisieren und in jedem Fall bezahlbarer als eine Vollautomatik. Ein Beispiel dafür ist eine Anlage zum Entbeinen von Kotelettsträngen, die unser Institut im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Schmid & Wezel GmbH & Co. KG im baden-württembergischen Maulbronn entwickelt hat. Ein Mitarbeiter positioniert die Kotelettstränge manuell in der Maschine. Speziell geformte und federnd gelagerte Klingen werden dann von Pneumatikzylindern über so genannte Kulissen durch die Rohware geführt. Diese Schablonen geben den groben Schnittverlauf vor und heben die Messer im Anfangsbereich über die Knochen. Die Federung drückt die Klingen immer wieder an und sorgt so dafür, dass sie auch ohne aufwendige und teure Sensorsysteme am Knochen entlangfahren. Zwar bleibt daran etwas mehr Fleisch hängen als bei der reinen Handarbeit, die reduzierten Personalkosten machen das aber mehr als wett: Mit Hilfe der Maschine kann ein Mitarbeiter fast doppelt so viele Kotelettstränge in der Stunde entbeinen wie von Hand, und das bei geringerer Unfallgefahr und körperlicher Belastung

Feinfühlige Metzgermesser

Auch für die Grobzerlegung eignen sich halbautomatisierte Anlagen: Die Mitarbeiter müssen die Zerlegemaschinen nur richtig an den Halbschlachtkörpern positionieren. Der Schnitt erfolgt dann automatisch. Es gibt zwar bereits erste kommerzielle Systeme für die vollautomatisierte Zerlegung von Schweinen, doch ist das Thema noch weitgehend Metier der Forschung. Spezielle Sensorsysteme messen dabei die Eigenschaften der einzelnen Fleischstücke, Prozessoren verarbeiten die Daten und führen die Schnittsysteme.

Das Kernproblem ist, eine Schnittbahn zu finden, durch die sich bei der Großzerlegung beispielsweise der Brustbereich mit den Kotelettsträngen vom Bauchfleisch, beim Feinzerlegen das Fleisch möglichst vollständig vom Knochen lösen lässt. Aktuelle Projekte versuchen eine primäre Bahn aufgrund der sichtbaren anatomischen Merkmale des Schlachttieres festzulegen. Das gelingt anhand digitaler Videobilder, doch die unter der Oberfläche liegenden Fleisch- und Knochenstrukturen müssen extrapoliert werden.

Sensorgestützt oder – beim halbautomatischen Betrieb – mit dem von uns entwickelten Federsystem lässt sich die primäre Bahn dann individuell den Gegebenheiten anpassen. Die Kollegen vom Institut National de la Recherche Agronomique INRA in Clermont-Ferrand (Frankreich) integrieren sogar Mikrowellen-Sensoren in die Klingen, um in Echtzeit die Entfernung zu Gewebegrenzflächen zu bestimmen. Sobald sich die Klinge einem Knochen auf drei Millimeter genähert hat, erkennt das System die Gefahr und regelt nach. Gemeinsam mit dem schwedischen Forschungsinstitut Swedish Meat R&D in Kävlinge haben wir einen Roboter entwickelt, der wie ein Fleischer seinen Schnitt anhand des mechanischen Widerstands der Knochen korrigiert.

Techniken der Bildverarbeitung dürften übrigens in Zukunft auch bei der Bestimmung des Handelswertes der Schlachtkörper eingesetzt werden (nach diesem Wert richtet sich die Bezahlung der Züchter und die Weiterverarbeitung). Beim Schweinefleisch beispielsweise spielen Parameter wie die Speckdicke in Lende und Rücken sowie die Bauch-, Schinken- und Kotelettmaße eine entscheidende Rolle. Die Firma e+v Technology in Oranienburg hat ein vollautomatisiertes Verfahren entwickelt, das die manuelle Erfassung ersetzen kann.

Automatisierung kann auch die Qualität der Produkte verbessern. Das erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ernährungswissenschaftlern, Biologen und Ingenieuren. So verbessert sich die Hygiene durch Automatisierung nicht zwangsläufig. Regeln für die hygienische Gestaltung von Maschinen und Anlagen sind aber bis heute nur teilweise vorhanden und bedürfen weiterer Forschungsarbeiten.

Obgleich die Fleischmenge für den deutschen Markt in den nächsten Jahren höchstwahrscheinlich bei etwas über sechzig Kilogramm pro Einwohner und Jahr stabil bleiben wird, glauben die meisten Analysten, dass die Produktionswege sich verändern werden. Insbesondere bei Standard- und Low-Cost-Produkten dürfte auch hier zu Lande eine Konzentration der Unternehmen kaum ausbleiben, um wie in anderen Industriebranchen die Kosteneinsparungen bei Massenproduktion auszuschöpfen. Kleinen Unternehmen bleiben vor allem die Premium- und Regional-Segmente so-wie eine flexible und qualitätsorientierte Automatisierung vorbehalten.


Schinken im Reinraum


Totes Fleisch verändert Farbe, Geschmack und Textur, wenn es von Mikroorganismen befallen wird. Manche Bakterien können den Darm des Essers besiedeln und krank machen. Deshalb ist Hygiene in der Fleischverarbeitung oberstes Gebot. Die größte Gefahr der Kontamination stellen die Mitarbeiter selbst dar. Deshalb entschied sich ein deutscher Großproduzent von Rohwürsten bereits dafür, ausschließlich Schweinefleisch aus der hochautomatisierten dänischen Produktion zu verarbeiten.

Eine Lösung des Problems bietet die beispielsweise in der Chipfertigung oder der pharmazeutischen Industrie etablierte Reinraumtechnik in Kombination mit einer weitgehenden Automatisierung. Das Produkt wird in einer abgeschirmten Umgebung – dem Reinraum – verarbeitet, in der die Menge der Mikroorganismen unter bestimmten, in internationalen Normen definierten Grenzen gehalten wird. Dazu dienen geeignete Luftfilter, Produktionsverfahren und Maschinen, die Reinigung und Desinfektion von Oberflächen, Verhaltensregeln für das Personal sowie umfangreiche Kontrollmaßnahmen.

Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz der Reinraumtechnik in der Fleisch verarbeitenden Industrie gibt die französische Firma Madrange. In ihrer Kochschinken-Produktion erfolgen alle Stadien, die auf das Kochen folgen, also Entpacken, Transport, Schneiden und Verpacken, unter Reinraumbedingungen mit steigendem Reinheitsgrad. Das Unternehmen erreicht somit Kontaminationswerte von 100 Mikroorganismen/Gramm (Gesamtmikroflora) unmittelbar nach der Produktion, obgleich der Gesetzgeber das Tausendfache zulässt. Dadurch erhöht sich nicht nur die Haltbarkeit, sondern auch die Sicherheit, pathogene Mikroorganismen zu vermeiden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2002, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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