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Editorial: Geheimnisse, die für immer verborgen bleiben



Was macht den Urknall so faszinierend? Dass wir, da sind sich die Kosmologen einig, sein Geheimnis niemals völlig lüften können. Diese Tatsache ist für hart gesottene Empiriker ziemlich misslich; ist doch die Naturwissenschaft angetreten, alles in der Welt zu untersuchen – und aufzuklären.

Aber nicht alles lässt sich auch wissenschaftlich erschöpfend beschreiben – sei es nun bloß de facto nicht oder sogar grundsätzlich nicht. Beispiele gibt es genügend: seien es einmalige Ereignisse wie der Ursprung des Lebens oder die Entstehung des Bewusstseins, seien es psychische oder soziale Prozesse. Ganz abgesehen von Abgrenzungsfragen zwischen Wissenschaft und Religion, bei denen es wohl immer strittige Territorialkonflikte geben wird.

Beim Urknall mag dies besonders frustrierend klingen. Wer wüsste nicht gern, was im kosmischen Nullpunkt geschah, wie Raum und Zeit entstanden? Gab es einen Zustand, sozusagen ein kosmisches Leben vor dem Urknall? Doch was vor dem Urknall war, wird mathematischen Spekulationen vorbehalten bleiben. Schon die Frage danach ist so sinnvoll wie die Frage, was nördlich des Nordpols liegt – da zumindest im Standardmodell die Zeit erst mit dem Urknall begann.

Die ältesten Relikte von der Geburt des Kosmos liefert uns die kosmische Hintergrundstrahlung. Als Zeuge des Moments, in dem das Universum durchsichtig wurde, spiegelt der Strahlungshintergrund den Zustand des Alls knapp eine Million Jahre nach dem Urknall wider. Gleichzeitig verhüllt er aber wie ein Schleier alles, was zuvor geschah.

Die Eigenschaften dieser Urstrahlung werden derzeit von dem Nasa-Satelliten Map (Microwave Anisotropy Probe) mit unübertroffener Präzision vermessen. Wie der Kosmologe Craig J. Hogan in seinem Beitrag ab Seite 28 erläutert, bietet die Map-Himmelsvermessung zumindest die Aussicht, demnächst die Quantenstruktur des kosmischen Beginns zu erahnen. Denn die blitzartige "inflationäre" Ausdehnung des Kosmos im ersten Sekundenbruchteil vergrößerte die anfänglichen Quantenfluktuationen wie ein gigantisches Mikroskop und fror sie im erkaltenden Kosmos ein. "Das Größte und das Kleinste sind ein und dasselbe", notiert der Amerikaner aus Seattle.

In der frühesten Ära war der Kosmos durch Quantensprünge in der Struktur von Raum und Zeit geprägt; erst später ging daraus unsere kontinuierliche Raumzeit hervor. Map wird vermutlich erste Spuren dieses Quantenmusters in der Hintergrundstrahlung entdecken können – ein Blick auf den Ursprung der Zeit.

Doch auch eine Enttäuschung hält Hogan parat. Die Signale des Quanten-urknalls werden gewiss nicht sämtliche Rätsel der Schöpfung lösen: Der Anfang der Zeit wird "wesentlich weniger interessant" sein "als alles, was später geschah".

Die Geschichte des Universums enthält also unermesslich viel mehr als die Ausführung eines Programms, das mit dem Urknall bereits feststand.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2002, Seite 5
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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