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Spinat an der Decke

In seiner Autobiografie schildert der Chemie-Nobelpreisträger Martin Karplus nicht nur sein facettenreiches Leben, sondern erklärt darin auch seine Liebe zur Wissenschaft.

Martin Karplus ist gerade einmal acht Jahre alt, als der spätere Nobelpreisträger mit seiner Mutter und seinem Bruder aus dem von Nazis besetzten Österreich in die Vereinigten Staaten fliehen muss. Vielleicht, so schreibt er in seiner Autobiografie, hat sein Leben als Flüchtling später entscheidenden Einfluss auf seine Einstellung und Liebe zur Wissenschaft gehabt.

Verständlich und doch wissenschaftlich fundiert

In »Spinach on the ceiling« (Deutsch: Spinat an der Decke) erzählt Martin Karplus von seinem Leben und dem seiner jüdischen Familie, wobei der Fokus auf seinem wissenschaftlichen Werdegang liegt. Die Schilderungen untermauern dabei immer wieder, wie verschiedene Machthaber Menschen terrorisiert und eingeschränkt haben. Wer dabei vielleicht an die heutige Coronazeit denkt, wird schnell merken, wie gering die aktuellen Restriktionen im Vergleich dazu ausfallen.

Aber das ist nur ein Teil seiner Geschichte. Aus erster Hand erfahren die Leser, wie er Charlie Chaplin begegnet, als er sich als Student einen Film von ihm ausleiht. Oder er berichtet von persönlichen Gesprächen mit Wissenschaftlern wie Oppenheimer, Pauling, Delbrück sowie Feynman. Erfrischend unprätentiös beschreibt er Erlebnisse und wissenschaftlichen Erfolge. Es ist ein Leben voller Begeisterung und Beharrlichkeit. Chemische Grundlagen finden auch einen Platz in seinem Buch – weniger in gestelzten Formulierungen, sondern meist verständlich und dennoch wissenschaftlich fundiert.

Als ihn am 9. Oktober 2013 um halb sechs Uhr morgens ein Anruf aus Stockholm aus dem Schlaf riss, war er erst einmal besorgt. Er machte sich Gedanken, welcher familiäre Notfall ihn mitten in der Nacht weckt. Als er dann – völlig verschlafen – den Hörer abhob, konnte er nicht so recht glauben, dass man ihm den Nobelpreis für Chemie verlieh. Na, sagte er sich, da er nun schon 83 Jahre alt ist, konnte er die Jahre zuvor wenigstens noch ohne großen Rummel um seine Person forschen.

Das Renommee war ihm allerdings bei zwei ganz anderen Belangen nützlich. Er hatte nie erfahren, wie das Leben seines Vaters endete, den die Nazis in Österreich gefangen hielten. Als er 2014 als Nobelpreisträger auf einem Empfang einen österreichischen Minister bat, das Schicksal seines Vaters zu ermitteln, bekam er kurze Zeit später eine Antwort darauf. Zudem konnte er in den USA auf eine sehr dicke Akte zugreifen, in der das FBI seine jahrelange Überwachung dokumentiert hatte. Der Grund der intensiven Observation: Karplus hatte an einer Demonstration gegen die Todesstrafe für das wegen Spionage verurteilte Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg teilgenommen. Immerhin, so merkt er trocken an, endet die Akte mit dem Vermerk: »Bitte historisch wertvolle nationale Archivakten nicht vernichten.«

Immer wieder offenbart der Autor seine optimistische Sichtweise und seinen Glauben an die Wissenschaft, die es ihm ermöglichten, zahlreiche Rückschläge zu überwinden. Wiederholt beschreibt er auch seine Hoffnung, insbesondere junge Leser zu inspirieren. Ihnen und allen anderen kann man das unterhaltsame und fesselnde Dokument eines facettenreichen Lebens absolut empfehlen.

Wer vor einem englischsprachigen Buch zurückschreckt: Es ist zwar nicht so leicht geschrieben wie eine beliebte Reihe aus der Welt der Zauberei, dennoch ist es wunderbar verständlich. Zudem kommt immer wieder der Humor des Chemikers durch. Nicht umsonst hat er den Titel so locker formuliert, der auf einem Wutanfall in seiner Kindheit basiert, bei dem er das unbeliebte Gemüse an die Decke klatscht.

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