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Fehlgriff nach den Sternen

Guillaume Le Gentil, Astronom und Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften, wird 1760 in den Pazifischen Ozean geschickt, um im südindischen Pondichery den Durchgang der Venus durch die Sonne zu beobachten und zu quantifizieren; dies ermöglichte — worüber man im Lehrbuchton der Volksaufklärung ausführlich belehrt wird — die Bestimmung der Sonnenparallaxe und damit des Abstandes der Sonne zur Erde. Natürlich scheitert Gentil an Kriegschaos und Wetterwirren, also Natur- und Kunstkontigenzen, wird stattdessen auf den üblichen Seglern mit obligaten Seemannskäuzen durch die Südsee samt ihren betäubten Häfen und Kolonialgouverneuren getrieben und entgeht auf einer einsamen Insel mit glücklichen Wilden, die ein gestrandeter Europäer unterdrückt, knapp dem Tod. Erotische Abenteuer gibt es für den forschenden Einsamen nur anflugsweise und fleischlos. Der Versuchung, den Titel in eine platte Opposition von Erotik — oder allgemeiner Emotion — und Ratio auszubauen, widersteht der Roman. Was dann übrig bleibt, ist eine Melancholieinszenierung im Gewand des historischen Reiseromans. Diese Melancholie hat ihre epistemologische Seite, scheitert doch auch die Abstandsbestimmung des Aufklärers Gentil zum reinen Sonnenlicht der wahren Erkenntnis, weil sich die Natur verbirgt und — eigentlich der interessantere Fall — weil er seine Position nicht zu bestimmen vermag auf dem fahrenden Schiff, dessen metaphorische Potenz Hans Blumenberg philosophisch enervierend und in brillanter Prosa schon ausgelotet hat. Und auch dass der Himmel als Generalmetapher für die Orientierungsprobleme und Positionierung des neuzeitlichen Menschen herhält, weiß man nicht seit dessen Analyse des Kopernikanischen Wendens (seither aber genau), und jedenfalls genauer als die bloße Feststellung von Konstruktivität und Perspektivität als Last und Begabung des menschlichen Wissens. Das ist Reflexionsstand des 18. Jahrhunderts und insofern historisch korrekt, wie all die anderen Fakten, deren Verbürgtheit am Ende des Textes vom Erzähler-Autor mit hinkendem Augenzwinkern treuherzig versichert wird, so als wollte er die beschriebene Einsicht lügen strafen. Es muss damit zusammenhängen, dass denn auch der Erzähler zwischen 18. und 21. Jahrhundert zerfällt; eine innere Spannung aus der latenten Doppelperspektive jeden historischen Erzählens gewinnt er nie, die Montage von etwas schwerzüngigem Sprechen mit der historischen Stimme und modernistisch-alltäglichen Flapsigkeiten bleibt unmotiviert. Wirklich prekär wird dies, was die Darstellung des und der Fremden angeht. Da bleibt die Südsee, wie der historische Rahmen auch, Kolorit, das den zusammengebastelten Episoden umgehängt wird. Die Fremde wird nie wirklich fremd, die Beschreibungen — wenn schon der balinesische Hahnenkampf zitiert wird — verdichten sich nicht in ihm, es bleibt bei der bornierten Perspektive des Protagonisten; an die verstörenden und psychologisch abgründigen Schilderungen eines Joseph Conrad darf man dabei nicht denken. So versinkt der Held Le Gentil nach seiner Rückkehr nach Frankreich in unscheinbarer Alltäglichkeit.

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